Jeder von uns hat den Wunsch, die Welt zu verstehen und zu erklären. Früher erschuf man sich Götter, um Naturereignisse verstehen und erklären zu können. Auch in der heutigen Zeit können wir uns nicht von dieser Tendenz freisprechen.
Wir sehnen uns nach Antworten: Wie kann ich mein Leben in die gewünschte Richtung verändern? Welche Diät muss eingehalten werden? Wie kann ich meinen persönlichen und beruflichen Erfolg maximieren? Kurz gesagt, wir wollen klare Antworten auf unklare Fragen. Diese Tendenz zeigt sich auch im Sport, wenn man versucht zu verstehen, warum eine Mannschaft verliert und eine andere gewinnt.
Bei den Deutschen Beachvolleyball Meisterschaften am Timmendorfer Strand wurde ich Zeuge einer Unterhaltung zweier Psychologiestudierenden, die sich über das Spiel von Erdmann/Dollinger und der Poniewaz Brüdern unterhielten. Es fing mit harmlosen Mutmaßungen an, wieso bestimmte Punkte „verschenkt“ wurden und weshalb andere Punkte eindeutig ausfielen.
Nichts blieb unbeachtet – die Körpersprache der Athleten, ihre Gangart, die verbale Kommunikation zwischen den einzelnen Punkten, die emotionalen Reaktionen auf Misserfolge. Diese Situation ist ein Beispiel für den Wunsch, bestimmte Ereignisse verstehen und erklären zu können. Dieser Wunsch nach Verständnis treibt die Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen an und sorgt für Entdeckungen und Fortschritt. Doch hat jede Lichtquelle auch ihre Schatten.
So mündet der Wunsch zu verstehen, zu erklären und vorherzusagen manchmal auch in sehr starker Vereinfachung der tatsächlichen Ereignisse. Nicht zuletzt der Lob an Annett Szigeti durch Laura Ludwig und Kira Walkenhorst sorgte für reges Interesse und breite Aufmerksamkeit gegenüber der Sportpsychologie.
Auch der Aufruf der weiblichen Deutschen Beachvolleyball Meister von 2017 Chantal Laboureur und Julia Sude, die ihren Mentaltrainer gewürdigt haben, ist aus Sicht der Sportpsychologie sehr positiv anzumerken. Der offene Umgang mit dem Thema Psychologie ist für die meisten Psychologen willkommen. Doch auch dieser Lichtkegel, der die Sportpsychologie für die breite Masse erleuchtet, erschafft sogleich schattige Seiten, die wiederum beleuchtet werden sollten.
Durch die stärkere Aufmerksamkeit auf Mentaltrainer sollte jedem bewusst sein, dass die Sportpsychologie keine Erfolgsformel ist, die einen Sieg auf eigene Faust herbeiführen kann. Den Löwenanteil der Arbeit verrichten immer noch die Sportler und die Coaches. Dieser Beitrag ist ein Aufruf an Skeptiker und Anhänger der Sportpsychologie ihre Ansichten zu überdenken und anzupassen.
Spätestens seit der monumentalen Arbeit von Daniel Kahneman „Schnelles Denken, Langsames Denken“ ist auch der breiten Öffentlichkeit nahegelegt worden, dass das menschliche Denken „biased“, also verzerrt und unvollständig ist und eine Anpassung sinnvoll sein kann. Interessierte seien an sein Buch verwiesen:
„Die Assoziationsmaschine (der Teil unseres Denkens, der schnell und intuitiv agiert) ist so eingestellt, dass sie Zweifel unterdrückt und Ideen und Informationen, die mit der aktuell dominanten Geschichte vereinbar sind, ins Gedächtnis ruft. […] Es ist daher nicht überraschend, dass viele von uns allzu sehr von der Richtigkeit unbegründeter Intuitionen überzeugt sind. […] Das Vertrauen, das Menschen in ihre Intuitionen haben, ist kein verlässlicher Maßstab für deren Richtigkeit. Anders gesagt, trauen Sie niemandem – auch nicht sich selbst -, der Ihnen sagt, dass Sie seinem Urteil vertrauen sollen.“ [1] (S. 296).
Im Lichte der Erkenntnisse, dass unser Denken auch verzerrt sein kann, möchte ich die Skeptiker dazu aufrufen, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sie die Möglichkeiten der Sportpsychologie unterschätzen. Während ich von den Anhängern der Sportpsychologie erwarten würde, dass sie die Möglichkeit zulassen, dass sie den Beitrag der Sportpsychologie tendenziell überschätzen.
Es steht außer Frage, dass gut ausgebildete und erfahrene Sportpsychologen einen wichtigen und bedeutenden Einfluss auf Leistung der betreuten Athleten haben [2] [3]. Versuchen wir diesen Einfluss weder zu unterschätzen noch zu überschätzen.
Quellen
[1] Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow.
[2] Weinberg, R. S., & Comar, W. (1994). The effectiveness of psychological interventions in competitive sport. Sports Medicine, 18(6), 406-418.